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Familie Naseweiß - eine doppelt gehoppelte Hasengeschichte

Es war einmal vor einer Zeit, als in der Wohnmulde von Häsin Naseweiß zwei Hasenjunge zur Welt kamen. Hier am Waldrand ganz in der Nähe eines Bauernhofes.
Häsin Naseweiß war eine Feldhäsin. Es waren ihre ersten Kinder.
Da war plötzlich Leben in der Mulde, die auch Sasse genannt wird, denn die beiden Kleinen krochen sogleich schnüffelnd und müffelnd auf Futtersuche.
Die Häsin legte sich daher zur Seite um ihre beiden Kinder zu säugen.

Du musst wissen:
Naseweiß wurde nicht deshalb so genannt, weil sie eine Besserwisserin war.
Oh nein!Sie würde in diesem Fall auch nicht Naseweiß heißen.
Sondern Naseweis! 
Naseweiß war Naseweiß, weil sie auf der Nasenspitze einen klitzekleinen weißen Fleck hatte. Deshalb.
Das sollst du wissen.

Naseweiß begann nun ihre Kinder zu betrachten, welche genüsslich ihre Milch tranken. Sehr bald schon würden sie selber auf Futtersuche hoppeln und sie dachte an all die Gefahren, denen so ein junges Hasenleben ausgesetzt war. Feinde gab es genug hier im Wald.
Mama Naseweiß war allein mit ihren Kindern, denn der Hasenvater war längst davon und weiter gehoppelt. Das ist bei Feldhasen ganz normal.
So also lag Mama Naseweiß ausgestreckt, säugte ihre zwei Jungen und betrachtete sie dabei.
Es waren zwei männliche Junge. Hübsch und weich sahen sie aus.
Gräulich braun ihr zartes Fell. Leicht zitterten ihre Näschen beim Trinken.

Da bekam Mama Naseweiß plötzlich einen ordentlichen Schreck und sie sprang auf die Beine. Was war das?
Eines ihrer beiden Jungen hatte keine Ohren! Mama Naseweiß wischte sich die Augen. Aber da änderte sich nichts! Eines ihrer Kinder hatte keine Ohren!
Keine äußeren Ohren, denn die Ohrlöcher waren schon zu sehen.
Es hatte keine Löffel, wie die  langen Hasenohren genannt werden, es hatte keine Löffel! Die hatte es einfach nicht!
Mama Naseweiß war bestürzt und machte sich große Sorgen.

Wie sollte der kleine Kerl ohne Ohren denn überleben? Würde er Gefahren rechtzeitig erkennen?
Hörte er denn überhaupt was? Er sah so fremd aus. Was würden ihre Freunde, all die anderen Tiere hier, sagen?
Würden sie ihn am Ende verspotten?
All das ging der jungen Hasenmutter durch den Kopf.

Sie war ganz durcheinander, als plötzlich vom oberen Rand der Sasse ein Gemümmel zu hören war
Die Häsin schaute nach oben und sah, wie Tante Langohr auf sie und ihre Kleinen herab sah.
„Oh“, näselte Tante Langohr, „sind also die Babys schon da?  Wie viele sind es, so zeig schon her!“, plapperte die Tante drauflos.
„Zwei sind es, Tante Langohr, zwei“, antwortete Naseweiß hastig.
Sie wollte ihre Kinder nicht her zeigen, nicht jetzt. Daher versteckte sie die Beiden rasch unter ihrem Bauch.
„Komm doch ein andermal wieder vorbei, sie möchten gerade ein wenig schlafen“, log sie und verabschiedete die neugierige Tante.
„Na dann, viel Glück!“, rief diese noch und hoppelte davon.

„Du weißt wohl gar nicht, wie recht du hast“, murmelte Mama Naseweiß bedrückt, „viel Glück, ja das brauchen wir nun wirklich“.
Sie war verwirrt und sie schämte sich auch, weil sie ihre Kinder ängstlich versteckt hatte. Aber Mama Naseweiß brauchte nun einfach ein wenig Zeit.
Zeit, damit sie sich mit dem Gedanken zurecht finden konnte, dass einem ihrer Kinder die Löffel fehlten.
Da konnte sie keine neugierige Tante gebrauchen. Jetzt nicht.

Die beiden Kleinen aber stupsten Mama Naseweiß ungeduldig und hungrig gegen ihren Bauch, so dass sie sich wieder hinlegte um sie weiter zu säugen.
Wieder betrachtete die Hasenmutter sie lange. Sie spürte, wie die Freude an ihren Jungen zurück kam. Bald schon verflog alle Angst von Mama Naseweiß.
Sie gab dem Jungen mit den Ohren den Namen Krümel und dem Jungen ohne Ohren den Namen Simba.
Glücklich und freudig schaute sie auf ihre Kinder.Nun konnte Tante Langohr kommen. Nun konnten alle kommen.
„Seht her“, würde sie sagen, „ich zeige euch meine beiden prächtigen Jungen. Das hier ist Krümel und das hier ist Simba!“

Bei Einbruch der Dunkelheit war Mama Naseweiß noch auf Futtersuche fort gehoppelt. Doch sie kehrte bald zurück. 
In dieser Nacht schliefen sie eng aneinander geschmiegt in ihrer Mulde. Satt und glücklich.
Mama Naseweiß wusste, dass ihre Kinder nur kurz bei ihr in der Sasse bleiben würden. Hasenkinder waren Nestflüchter und daher ganz bald auf sich alleine gestellt.
Mama Naseweiß wusste das und sie war nun ganz zuversichtlich, dass ihre Kinder es schaffen würden.
Beide. Den morgigen Tag, so hoffte sie, würden sie noch gemeinsam verbringen.

Die Frühlingssonne begrüßte den neuen Tag. Als die Kleinen sich satt getrunken hatten, hüpften sie auch schon über den Rand der Mulde hinaus. 
Neugierig hoppelten sie hierhin und dorthin. Spielend rannten sie einander nach. Schlugen  kleine Haken und versuchten Sprünge. Dann duckten sie sich tief auf die Erde. Da waren bei Krümel nur noch die Ohren zu sehen, Simba aber konnte man gar nicht mehr sehen. 
„Das ist prima!“, freute sich Mama Naseweiß und lobte ihre Kinder, „wie gut ihr euch zu verstecken wisst!“
Und leise und zu sich selber mümmelte sie noch: „Das könnte dir von Nutzen sein, mein kleiner Simba“. 

Da kam Bella angerannt. Bella war die Hündin, welche auf dem nahen Bauernhof lebte. Die beiden Häschen hoppelten neugierig heran.
„Wuff, wuff“, bellte Bella aufgeregt und wichtig. „Wuff, wuff!“
Simba und Krümel erschraken und rannten ein Stück weg, aber Bella verstand das als Aufforderung zum Spielen und lief ihnen nach. Doch die Haken schlagenden Häschen waren viel geschickter und auch viel schneller als Bella und so hatte sie bald das Nachsehen.

Simba und Krümel waren zurück in ihre Mulde gerannt. Schon schob Bella frech ihre Hundeschnauze über den Rand der Sasse.
Krümel zog sich zurück und versteckte sich unter Mama's Bauch, doch Simba streckte Bella seine Nase entgegen. 
Bella war verblüfft, denn sie war es gewohnt, dass Hasen vor ihr weg liefen oder sich wenigstens versteckten oder zumindest ein klein wenig Angst hatten.
Dieser hier aber beschnüffelte sie!  Was war das für ein Spiel?
Daher bellte sie einmal kräftig. Wuff!
Simba zuckte kurz zurück, aber sogleich streckte er Bella wieder seine Nase hin.

Was war das für ein frecher Hase?
Aber vielleicht war das ja gar kein Hase. Er konnte zwar laufen und Haken schlagen, aber irgend etwas kam Bella anders vor.
Sie wusste nicht was es war, jedenfalls sah der hier anders aus.
Bella fand das Ganze zunehmend interessant. Deshalb bellte sie nun ganz freundschaftlich. Wuff, wuff!
Das sollte heißen: „Komm heraus und spiele mit mir!“
Simba verstand Bella auch sofort und schon hüpfte er aus der Mulde.

Kurz beschnupperten sich die beiden. 
Simba, der wie alle Feldhasen einen feinen Geruchssinn hatte, mümmelte: „Du riechst zwar nicht besonders gut, aber es macht Spaß mit dir zu spielen.“
„Nun du riechst eindeutig nach Hase“, bellte Bella Simba ins nicht sichtbare Ohr, „aber irgendwie gefällst du mir. Kommst du mit zu mir?“, fragte sie nun Simba.
„Was meinst du mit, mit zu mir, erkundigte sich Simba. „Wuff, auf den Bauernhof hier“, bellte Bella in diese Richtung. „Weiß doch jeder“, fügte sie noch bellend hinzu.
Simba gefiel der Gedanke und schon hoppelte er voraus, Bella fröhlich bellend hinterher.

Simba fand das Leben am Bauernhof spannend. Schon nach kurzer Zeit hatte er viele Freunde gefunden. Seine beste Freundin aber war Bella.
Eines Morgens im Spätwinter sah er zwischen den alten Obstbäumen einen fremden Hasen. Es schien, als wollte dieser sich immer wieder hinter den dicken Stämmen der Bäume verstecken, doch seine langen Löffel guckten mal hier und mal da hervor.
Simba fand das interessant und er hoppelte dem Hasen hinterher.
„Hallo du“, rief Simba, „so bleib doch mal stehen“, nachdem ihm vom vielen hinterher laufen um die runden Baumstämme ein wenig schwindelig wurde.
Der fremde Hase steckte seine Nase hinter dem großen Zwetschkenbaum hervor:
„Ich bin die Liese – von der Wiese“, verkündete eine zarte Stimme.
„Wie bitte?“ Simba hoppelte näher.

„Bist du Hase oder Maus – du siehst so anders aus“, fragte Liese nun schüchtern.
„Ach findest du?“, erkundigte sich Simba freundlich, „du meinst, du hast noch nie einen Hasen ohne Löffel gesehen, ist es das?“
„Ganz genau – du bist ja schlau“, reimte sie unbeirrt weiter und hüpfte auf Simba zu.
„Ich bin die Liese – von der Wiese“, stellte sie sich neuerlich vor.
„Ich bin Simba, ein Feldhase genau wie du. Was machst du hier?“, wollte er wissen.

Ein bisschen verlegen senkte sie den Blick und ihre Nase zitterte:
„Du bist mein Typ – ich hab dich lieb.“
Simba und Liese beschnüffelten sich nun eingehend.
„Gefall ich dir ? – Dann komm mit mir“, lud die Liese von der Wiese Simba ein.
Es dauerte nicht lange und die beiden hoppelten munter zwischen den Bäumen umher und voller Freude liefen sie hinaus auf die weite Wiese.
Nach einiger Zeit, als die Liese von der Wiese drei kleinen Hasenjungen das Leben geschenkt hatte, kehrte Simba wieder zurück zu Bella auf den Hof.
Denn Hasenväter bleiben nicht bei ihrer Familie, das ist bei Feldhasen ganz normal.

Am Abend, wenn die Sonne die letzten wärmenden Strahlen schickte, saßen Simba und  Bella oft gemütlich beisammen.
Dann schwärmte Simba ein wenig von Liese und Bella lächelte wissend. 

Und wenn sie nicht gestorben sind -

- na du weißt schon.
So könnte die Geschichte des mutigen und selbstbewussten Simba enden.
Simba, der keine Hasenlöffel hatte.

Aber es könnte gut sein, und ich glaube fast, dass es so war, dass Simba noch anderes, spannendes erlebte.
Und die Geschichte noch nicht zu Ende ist, denn:

Eines frühen Morgens, noch in der Dämmerung, sah Simba wie ein großer alter Hase zwischen den Büschen und Bäumen des riesigen Obstgartens hin und her lief. Da und dort bückte er sich um dann rasch wieder geduckt weiter zu hoppeln.
Nun war seine Neugier geweckt und Simba schlich dem geheimnisvollen Hasen hinterher. Dabei sah er, dass dieser hinter den Büschen und Bäumen bunte runde Dinger versteckte.

Da bemerkte ihn der fremde Hase. „Hähä, spionierst du mir nach, Kleiner“, brummelte er gekränkt.
„Oh nein, ich möchte bloß gerne wissen, wer du bist und was du hier machst?“, erklärte Simba freundlich.
„Hähä, siehst du nicht ein bisschen seltsam aus?“, meinte der alte Hase nun.
„Ach findest du?“, erkundigte sich Simba lächelnd, „du meinst, du hast noch nie einen Hasen ohne Löffel gesehen, ist es das?“
Simba schaute den alten Hasen freundlich an.

„Hähä, du gefällst mir Kleiner“, sagte der nun versöhnlich.
„Nimm es mir bitte nicht übel, aber so einen wie dich habe ich halt noch nie getroffen.
Also ich bin der Osterhase und ich verstecke hier im Garten bunte Ostereier für die Kinder“, erklärte der Alte nun.

„Aha, Osterhase“, nickte Simba, „aha. Ich bin Simba“, erklärte er dem Hasen.
„Hähä, ich könnte gut Hilfe gebrauchen“, sagte der Osterhase nun, „und mir scheint, dass du ein prima Osterhase werden könntest.
Du bist ein mutiger, junger Kerl und ich bin schon alt.
Doch weil du, warum auch immer, keine Löffel an deinem Kopf hast, könnte man dich viel weniger leicht sehen als mich mit meinen langen Löffeln“, erklärte der Hase Simba.„Darf man dich denn nicht sehen?“, wunderte sich Simba.
„Hähä, das ist doch klar! Die Kinder müssen die Ostereier suchen, so ist das der Brauch. Auf keinen Fall dürfen sie mich beim Verstecken sehen!“, erklärte er Simba.
„Komm, hilf mir. Im nächsten Jahr schaffst du es dann schon alleine, denke ich.“
Simba gefiel das und er half dem alten Hasen.

Ehe die Sonne am Himmel herauf kroch, hatten er und der alte Osterhase alle Eier versteckt. Das hatte Simba richtig große Freude gemacht.
Im kommenden Jahr und in vielen Jahren darauf war Simba der Osterhase. Weil er sich so gut verstecken konnte, hat ihn nie jemand gesehen.
Nur seine Freundin Bella wusste darum. Und die Liese - von der Wiese, die von Zeit zu Zeit am Hof vorbei hoppelte.

Und du weißt es nun auch, aber du sagst das bestimmt nicht weiter, ja?
Denn Osterhasen dürfen nicht gesehen werden. So ist das nun mal! So war das schon immer und so könnte es auch bleiben
.
Meinetwegen.